Adieu Papa!

Manchmal geht mir ein Thema sehr lange durch den Kopf, bis es seinen Weg zu „Papier“ findet. So schreibe ich in den meisten Fällen meine Artikel. Etwas beschäftigt mich und ich schreibe darüber. Wenn es um Coaching-Themen geht, so schaue ich, dass ich mein Wissen und meine Erfahrung wie ein Filter zum Reinigen einsetzte. Peu à peu entsteht dann der Kern und ich bemühe mich, hier meine Reflexion darüber niederzuschreiben. Dieses Mal ist es nicht nur ein „Thema“, sondern es geht um eine Lebenseinschneidende Erfahrung: Ich habe meinen Papa verloren.

Der Abschied

Egal wie vorbereitet ich dachte zu sein, dass mein Vater am Ende seines Lebens angelangt war, so traf mich sein Ableben sehr und trifft mich immer noch. Abschied ist ein sehr individueller Prozess und mein Abschiedsprozess von ihm ist zäh, träge und tiefgehend. Nach seiner schleichenden Krankheit, der Demenz, zuzüglich der 98 Jahre, die er gelebt hatte, starb er allein im Krankenhaus. Obwohl er mich schon lange nicht mehr erkannte, hatte ich mehrmals versucht, fast zwanghaft, mit ihm zu sein, wenn er geht. Eines Tages, nur 5 Tage vor seinem Tod, war ich allein bei ihm und nahm mir die Zeit. Ich wollte einfach da sein und ihn sanft begleiten. Ohne Worte, ohne Erfahrung in dieser Aufgabe, dachte ich, er bräuchte vielleicht Hilfe, um loszulassen. Wie es sich herausstellte brauchten wir beide Hilfe in Sache Loslassen…

Ich fing an ihm zu erzählen, wie es mir ging. Mit seinem Zustand, seiner Krankheit… und dann wurde die Themen immer intensiver. Die Tränen fingen an zu laufen. Immer noch hielt er meine Hand und döste dahin. Ich fragte mehr mich selbst als ihm aber laut denkend, wie es ihm wohl ging, im Kopf eingesperrt, weit von mir mir und seinen Enkeln, ein Viertelleben lang… Schließlich konnte ich Sachen aufgreifen, die in mir lange gelauert hatte und so, als hätten sie gewartet, dass alle Tore offen standen, sprudelte es aus mir heraus. Ich konnte ihm sagen, dass ich ihn liebte, aber auch ihm einiges trotz Bemühungen nicht verzeihen konnte. Und auch, dass das mir leid tat, dass ich dazu nicht in der Lage war… Sein Händedruck schien fester zu werden. Der Tränenfluss versiegte nach einer Zeit. Und Nach zwei Stunden wollte ich gehen. Ich war fast an der Tür, als er einen verzweifelten Geräusch aus seiner trockenen Kehle von sich gab, sich aufsetzte und die Hand nach mir reichte. Ich kam zurück und er nahm mich ganz fest im Arm und drückte mich auf seine magere Brust…

Ein letztes Mal schien es mir, als hätte er alles wahrgenommen und verstanden, als wollte er mir ein letztes Mal noch zu verstehen geben, dass es alles in Ordnung war. Als sei er dankbar, schaute er mir in die Augen und streichelte mir das Gesicht. Fünf Tage später schlief er ein letztes Mal für immer ein, mein Papa hatte entschieden zu gehen, allein.

Für immer weg

Es ist nicht nur er, der weg ist, stelle ich fest. Es sind abertausende von Fragen, die nie eine Antwort erhalten werden. Seine Erinnerungen, seine Erlebnisse, seine Geheimnisse… als das, was er nie erzählt hatte, nie gesagt hatte, war für immer weg. Und es war ein Schock, welcher Verlust der Tod eines Menschen Tatsächlich bedeutet. Die Süßen gemeinsamen Erinnerungen, die mir bleiben sind nur meine, aber welche hatte er? 98 Jahre Leben, von denen Jahrzehnte im Dienste der anderen… davon war ich 25 Jahre in Deutschland und sah ihn bis drei mal pro Jahr. Wie war es ihm wohl damit ergangen? Wie ging es ihm, als ich meine Praxis Anfang Januar aufgemacht habe? Zumindest, wenn er es hätte verstehen können… Ich hätte so gerne gesehen oder gehört, wie er es erlebte. Oder später, als ich Ende März 50 wurde… er fehlte, um mich in seine Arme zu nehmen und mir zu gratulieren.

Ich vergesse nicht, dass er sich in den letzten 9 Jahren immer mehr geistig zurückgezogen hatte und er das alles nicht mehr wahr nahm. Für ihn wirkte das Geschehen um ihn herum oft wie ein störender Geräusch in seiner tauben Blase.Er lebte eine Realität, die seit beinahe 70 Jahre vergangen war. Alles, was anders war, als seine tägliche Routine, verwirrte ihn und brachte ihn durcheinander. Ich denke trotzdem, es wäre schön, meinen Papa, da zu haben… wie er in seinen jüngeren Jahren war.

Reminiszenzen aus einer lang vergangenen Zeit.

Der Schmerz

Ich wusste, er musste gehen. Er hatte ein langes, erfülltes Leben. Nicht desto trotz jedes Mal, wenn mir das jemand sagte, spüre ich Wut und Verrat in mir hochkommen. Egal wie alt ein Mensch ist, egal, wie krank er ist, sein Tod hinterlässt tiefe Spuren und einen schweren Verlust. Der rationale und der emotionale Anteil weilen beide in mir, einer im Kopf, der andere im Herz, da wo die Trauer ist… Der im Kopf mindert in keiner Weise den Verlust und die Trauer und den emotionale „Schwebe-Zustand“, in dem ich mich befinde… Der Versuch Trost zu spenden erfolgt lediglich über den emotionalen Weg. Der rationale Weg ist nur… auch da, als Grenze.

Der Weg der mich trifft und erreicht UND DANN TRÖSTET, und das sage nicht ich, das ist ein Ergebnis aus der neurowissenschaftlichen Forschung, ist der der Emotionen. Deshalb habe ich Trost bei Menschen gefunden, die selber einen solchen Verlust erlebt hatten und das Thema ansprechen konnten. Da wo kein Tabu war, konnte ich mich frei bewegen. Und mich befreit fühlen. Das hat wirklich geholfen, den Schmerz da zu lassen, die Trauer zu spüren oder gelegentlich sogar die Taubheit, als Selbstschutz gegen das Zuviel einer lähmenden Emotion. Lähmend ist die Trauer, wenn sie nicht gelebt werden kann. Und ein wunderbarer Satz zur Trauer stammt von Heinz Strauß, dem Gründer der Systemenergetik: „Ein Mensch entwickelt sich exponentiell zu seinen gelebten Abschieden“.

Mir machte dieser Satz Mut, mich mit meiner Trauer anzufreunden, sie zuzulassen, dosiert, damit sie mich nicht übermannt und ich noch handlungsfähig bleibe. Ein letztes Geschenk meines Papas, ich darf an seinem Ableben wachsen… Danke!

Wie geht es Ihnen mit Ihren Abschieden? Wie erleben Sie Trauer? Was tröstet Sie, wenn Sie trauern? Ich freue mich auf den Austausch und Kontakt mit Ihnen.

Herzlichst

Ihre Isabelle Tschernig-Lorenzi

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